Im Sommer 2002 befand sich mein „Reiterleben“ am Tiefpunkt meiner „Karriere““, wenn man das, was ich all die Jahre unter Reiten verstand, mal so nennen möchte.
Es begann alles ganz harmlos. Im Frühling bemerkte ich, dass ich aus unerfindlichen Gründen an einen Punkt gelangt war, von dem aus es nicht weiter zu gehen schien. All die noch so gut gemeinten Ratschläge und Tips führten zu keinem Erfolg. Im Gegenteil. Ich hatte sogar das Gefühl, dass ich von Mal zu Mal schlechter ritt und die Kommunikation mit dem Pferd nicht mehr klappen wollte. Das war jedoch noch nicht alles. Ich stellte plötzlich fest, zumindest meinte ich es, und redete mir das auch fleißig ein, dass alle um mich herum immer besser wurden. Selbst Reitanfänger machten Fortschritte, die ich jede Stunde ganz klar erkennen konnte. Nur bei mir schien alles immer schlechter zu werden. Zu dieser Zeit geschah es, dass eine gute Freundin von mir vom Pferd fiel und sich verletzte. Dazu muss man sagen, es handelte sich um einen Bruch, der operiert werden musste, und dessen Heilung Zeit in Anspruch nahm. Meine Freundin ist Berufsreiterin und arbeitet auf dem Reiterhof ihrer Eltern. Sie fiel also für Wochen aus. Das bedeutet für ein solches Unternehmen einen großen Verlust und einen erheblichen zusätzlichen Zeitaufwand. So halfen alle, wo sie nur konnten.
Ich durfte nun mehrere Pferde reiten, darunter auch eine junge Stute, die einen starken Vorwärtsdrang hatte. Bei diesem Pferd handelt es sich um ein buchstäbliches Naturtalent. Sie hat sowohl eine natürliche, stark ausgeprägte Veranlagung zum Spring- als auch zum Dressurpferd, ein ideales Vielseitigkeitspferd für den ambitionierten Turnierreiter. Nun saß ich also (als reiner Freizeitreiter) auf diesem Pferd und begann zu arbeiten. Im Schritt kamen wir blendend miteinander zurecht. Im Trab begann
die Stute immer schneller zu werden und unter mir „davon zu rennen“. Es brauchte reichlich Kraft und Konzentration, dieses Energiebündel zu „kontrollieren“. Dann wollte ich galoppieren. Diese Angelegenheit stellte sich als unlösbares Problem heraus. Wir fanden einfach nicht zusammen. Entweder rannte sie im Trab davon oder buckelte, schlug nach hinten aus, um dann nach einem Galoppsprung wieder auszufallen. Ich sah mich nicht in der Lage, das Pferd zum Galoppieren zu bringen.
Auch die darauf folgenden Tage kamen wir zu keinem Ergebnis. Meine Freundin, die unsere Versuche ständig beobachtete, ermunterte mich, nicht aufzugeben. Schließlich handele es sich um ein junges, unerfahrenes Pferd. Mich trösteten diese Worte allerdings nicht. Im Gegenteil. Wieder einmal hatte ich es nicht geschafft, eine weitere Niederlage…..
So kam es, dass ich ernsthaft mit dem Gedanken spielte, die Reiterei (nicht die Pferde, nur das Reiten) aufzugeben.
Ein glücklicher Zufall führte mich in die Tierarztpraxis. Dort las ich am schwarzen Brett eine Anzeige zu einem Kurs mit Anke Recktenwald. Ich hatte zwar schon etwas von ihr gehört, mich aber nie damit beschäftigt.
Ich las also voller Interesse die Kursbeschreibung, nahm mir sicherheitshalber die Kontaktdaten von Anke mit und überlegte hin und her, ob sich ein Versuch lohnen würde. Mein Freund gab mir schließlich den entscheidenden Anstoß. Er sagte, ich wollte immer schon mal einen Reitkurs machen und immer schwärme ich davon, Pferde ganz ohne Gewalt auszubilden und zu reiten. Außerdem habe er über Linda Tellington schon einiges gehört und sei der Meinung, mir könnte das gefallen. Nun gut, da war ich nun, verlieren konnte ich nichts und so beschloss ich, den Kurs zu buchen.
Voller Aufregung und Neugierde kam ich zum Ort der Veranstaltung und lernte viele nette Menschen und Pferde kennen. Die meisten Kursteilnehmer waren genau so aufgeregt und neugierig wie ich. Als der Unterricht dann endlich begann, fühlte ich mich ein wenig verunsichert. Diese Art des Umgangs mit Pferden hatte so gar nichts mit dem zu tun, was ich seit Jahren praktizierte. Die Unsicherheit legte sich jedoch sehr schnell und ich erkannte, dass Tellington TTouch eine effektivere Methode im Umgang mit Pferden war als alles, was ich bisher gesehen hatte. Als es endlich ans Reiten ging, fühlte ich mich wieder wie ein absoluter Anfänger, dieses Mal allerdings ohne Scham. Ich war neugierig geworden und entdeckte neue, ungewohnte und doch spielend einfache Bewegungen. Das „rückwärts Fahrrad fahren“ war eine dieser Bewegungen, und es verbesserte in kurzer Zeit nicht nur mein Gefühl für die Bewegung des Pferdes, sondern auch dessen Takt. Ganz erstaunt war ich, als ich plötzlich durch den Bau des „Schneemanns“ ganz von selbst und ohne Anstrengung aufrecht sitzen konnte. Das Beste allerdings war, dass ich diese Haltung mühelos beibehalten konnte. Ich lernte an diesem Wochenende mehr, als in den Jahren zuvor. Das heißt nicht, dass ich vorher schlechte Lehrer hatte oder welche die dies nicht erklären konnten. Ich konnte es einfach nicht umsetzen, weil mir nicht bewusst war, was ich tat, und somit war es auch unmöglich, Dinge zu ändern.
Ich fuhr also gut gelaunt und voller Inspiration nach Hause. Gedanken, ob und wie ich das neu Erlernte umsetzen konnte, machte ich mir allerdings nicht. Gleich zwei Tage nach dem Kurs bestieg ich wieder die junge Stute. Und ohne dass ich mich besonders darauf konzentrieren musste, konnte ich das „neue Reiten“ abrufen, ich tat ich es einfach. Das Ergebnis war phänomenal. Die Stute arbeitet von der ersten bis zur letzten Minute willig mit. Es kam kaum noch zu Situationen, in denen Sie unter mir davonlief. Das Beste war allerdings, dass ich galoppieren konnte ohne Buckeln, Austreten und Losstürmen. Alles verlief ruhig und harmonisch. Ich musste nur in eine Richtung denken und sie lief dorthin. Übergänge wurden weich und fließend, und das Reiten machte plötzlich enorm viel Spaß. Das fiel dann auch den Zuschauern auf, und meine Freundin war fassungslos. Sie fragte gleich, was ich denn auf einmal gemacht hätte, sie erkenne weder mich noch das Pferd wieder. Meine Antwort war kurz: Fahrrad fahren!
Ich habe durch Anke noch mehr solcher Erfahrungen gemacht und sie helfen mir, Niederlagen und vermeintliche Rückschritte, bzw. Stillstände zu verkraften. Auch wenn es einmal nicht auf Anhieb gelingt, so ist die Gewissheit da, dass der Erfolg jeder Zeit mit den richtigen Anweisungen, Bildern, Konzentration und vor allem ganz ohne Kraftaufwand wieder herbeigeführt werden kann. Miriam Alsfasser